Dževad Sabljaković

"Ein Konzert von Verlierern für Verlierer"

Dževad Sabljaković ist geboren und lebte in Belgrad, als Redakteur des Fernsehsenders Yutel war er gerade in Sarajevo, als die Stadt eingekesselt wurde, und er konnte nicht zurück in seine Heimatstadt. Als Yutel seinen Betrieb einstellte, arbeitete Dževad als Kriegsreporter für Radio France International. Während des Krieges war er auch Teil des EU-Projekts "Radio Brod", in dem bosnische, serbische und kroatische Journalisten gemeinsam arbeiteten. Das Programm des Senders wurde aus den internationalen Gewässern der Adria ausgestrahlt. Heute lebt Dževad Sabljaković in Paris. "Wenn ich mich an den warmen, regnerischen Juli-Abend vor 25 Jahren erinnere, passiert es, dass mir die Tränen kommen."

Noch nie habe ich an einem Ort eine solch starke positive Energie gespürt, solch einen Glauben, dass Menschlichkeit und Nähe das Böse besiegen werden. Zehntausende junge Menschen kamen zur Olympia-Halle ZETRA, sie standen darin und davor, Menschen aus Sarajevo, aus allen möglichen Städten Bosnien-Herzegowinas und aus allen anderen Republiken des ehemaligen Jugoslawiens. „Heute hier sein bedeutet, auf der richtigen Seite zu sein“, war der Slogan des Abends, den man überall hören konnte.

Man wusste, dass auf dem Konzert die bekanntesten Bands und Sänger Sarajevos und viele Gäste zu sehen sein werden, doch ihre Lieder genießen war an diesem Abends nicht der Anlass des enormen Besucherandrangs. Alle Menschen einte ein Gedanke und ein Gefühl: Stop dem Krieg, dem Hass und dem Morden. Deshalb war das ein Konzert, bei dem es keine Trennung zwischen Publikum und Bands gab. Alle waren Teil dieses Konzerts: die YUTEL-Redaktion, zu der ich gehörte, und die die Friedensbewegung ins Laufen gebracht hatte, die Sänger und ihre Bands, die Schauspieler, Dichter, Karikaturisten und eine Gruppe Minenarbeiter. Einfach alle, die es schafften, in die Halle zu gelangen oder vor ihr zu stehen waren eins. Wir schwenkten Fahnen und Transparente mit Friedensbotschaften.

Uns alle einte eine wundersame Energie und der Glaube, dass wir als Sieger gegen den Krieg hervorgehen würden. Von dieser Energie getrieben kamen auch aus Mazedonien Menschen angereist, die Frieden forderten, unter ihnen der Politiker Vasil Tupurkovski, aus Montenegro kamen mehrere Studenten aus der „Friedensliga“, es kam eine Band aus Kragujevac, YUTEL-Redakteure aus Serbien, Kroatien und Slowenien. Die ganze Redaktion lud Gäste ein und stellte Sänger und Bands vor. Wir hatten alle die Möglichkeit, uns dem Publikum mit kurzen, aber enthusiastischen Reden zuzuwenden. Auch ich redete und führte den heut weltbekannten Schauspieler Rade Šerbedžija vor das Publikum, der frenetisch gefeiert wurde. Ich erinnere mich, dass er ein Gedicht von Tin Ujević rezitierte und ihm in derselben Weise zugehört wurde wie den Bands aus Sarajevo. Unter den Musikern waren Merlin, Hari Mata Hari, Goran Bregović und Haris Džinović, die das Volkslied „Zvjezda tjera mjeseca“ (dt.: „Der Stern jagt den Mond“) spielten. Auch die Bands Crvena jabuka und Plavi orkestar waren da, Indexi mit Davorin Popović, Bajaga und EKV.

„Es gibt noch immer Hoffnung. Liebe ist wie der Himmel. Liebe ist wie das Meer. Die Menschen lieben sich. Einzig an die Liebe glaube ich...“

Doch diejenigen, die einen Krieg wollten, träumten in ihren kranken Köpfen etwas anderes. Sie zeichneten neue Karten und Grenzen, die sie zwischen uns ziehen wollten. Vereint hatte sie das Böse, der sinnlose Hass und das Wissen, dass sie dem Guten nicht anhaben können, ebenso wenig wie dem starken Zusammenhalt der Menschen.

Wir haben alle den Triumph gespürt: wir haben gesiegt, die Idee des Friedens ist stärker. Am Anfang und am Ende des Konzerts sangen wir das Lied „Einzig an Liebe glaube ich“, die zur Hymne unserer Bewegung wurde. Ich erinnere mich, wie alle Sänger auf die Bühne kamen und zusammen mit dem Publikum das Lied sangen, weswegen mir noch heute Tränen in die Augen schießen. Auch ich war dabei, zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen Gordana Suša, Nedim Lončarević, Milan Trivić, Jasmin Teodosijević, Vanja Vardijan, Ivica Puljić und, natürlich, Zekerijah Smajić sowie Goran Milić. Wir haben alle gesungen und die Verse des Liedes gesprochen: „Es gibt noch immer Hoffnung. Liebe ist wie der Himmel. Liebe ist wie das Meer. Die Menschen lieben sich. Einzig an die Liebe glaube ich...“ - In diesen Worten befand sich die gesamte positive Energie dieses Abends. Heute würde ich sagen die „Energie der Gutgläubigkeit“.

Wir alle, die wir uns an diesem regnerischen Juli-Abend versammelt hatten, waren Verlierer

Acht Monate später fielen Granaten auf Sarajevo. Auch die ZETRA wurde getroffen und zerstört. Es ist schrecklich, wie viele Menschen zum Konzert kamen, ihre Stimme gegen den Krieg und für den Frieden erhoben, und dennoch in den nächsten vier Jahren ihr Leben verloren. Es ist ebenso schrecklich, wie verstreut wir heute weltweit sind. Wenn ich heute daran denke, wird mein Herz zu einem schweren Stein und ich begreife: wir alle, die wir uns an diesem regnerischen Juli-Abend versammelt hatten, waren Verlierer. Die Idee des Krieges, des Hasses und des Mordens war stärker, und sie ist bis heute nicht verschwunden.

Trotz allem würde ich mich - wenn es erneut ein „YUTEL für den Frieden“-Konzert gäbe - mit all meiner Kraft wieder dafür einsetzen. Ich würde erneut die Hoffnung haben, dass die Menschen sich noch immer lieben und dass nur die Liebe einen Sinn hat. Worte, die Teil unserer Hymne waren...

Das Konzert „Yutel za mir“ in der ZETRA war zwar die größte Versammlung von Menschen innerhalb der Friedensbewegung des Senders, doch es war nur eines von vielen Yutel-Konzerten, es gab noch mindestens zehn weitere in anderen Städten. Beispielsweise stand ich in Zenica und Banja Luka vor 50.000 Menschen und - wenn ich mich recht erinnere - auch in Jajce und Prijedor. Das Konzert in Prijedor fand erst 1992 statt, nur einen Monat bevor der Krieg in Bosnien-Herzegowina ausbrach. In Prijedor durfte ich zusammen mit dem Arzt Eso Sadiković zum Publikum sprechen, ein Friedens-Enthusiast, weise, offen und unglaublich optimistisch. Er wurde wenige Monate nach dem Konzert ermordet. Auch sein Tod zeigte: Das Friedenskonzert vor 25 Jahren war ein Konzert von Verlierern für Verlierer.