Enes Terzić
„Wir nannten uns Zetraner“
Enes Terzić war Chef der ZETRA-Halle und des Olympischen Komitees in Jugoslawien. Es war sein Verdienst, dass das Konzert spontan in der Halle stattfinden konnte. Weil heftiger Regen die geplante Open Air-Veranstaltung verhinderte, bot Terzić den Feiernden ein Dach über dem Kopf. Als die ZETRA neun Monate später beschossen wurde und in Brand geriet, war er unter denen, die versuchten, das Feuer zu löschen.
Für den 28. Juli 1991 war sehr schlechtes Wetter angekündigt. Jemand, ich glaube es war Goran Milić, fragte mich, ob es möglich sei, das Konzert in die ZETRA-Halle verlegen zu können? Ich musste erst mal lachen, so einfach war das ja nicht. Wir von der ZETRA waren immer bereit für alle möglichen Veranstaltungen. Wir hatten gute Leute, die die Halle geliebt haben, wir nannten uns Zetraner. Ob Tag oder Nacht, wir konnten alles organisieren. Und das "Yutel za mir"-Konzert war ein Projekt von hohem öffentlichem Interesse. Ich musste in Sekunden abwägen. Die Unterstützung dieser Friedensbewegung war mir wichtiger als die möglichen Risiken. Also sagte ich ja.
Soweit ich mich erinnere, hat der Umzug nur wenige Stunden gedauert. Und dann waren viel mehr Menschen in der Halle, als es eigentlich erlaubt war – mehr als 25.000 Zuschauer. Wir öffneten alle Tore. In jedem Winkel waren Menschen. Und natürlich auch draußen, vor den Toren. Die meisten kamen gar nicht mehr in die Halle. Das Konzert brach alle Rekorde.
Ich habe damals alle Verantwortung auf mich genommen. Über mögliche Folgen nachzudenken, habe ich einfach ausgeblendet. Ich war mir sicher, dass wir schon alles hinkriegen würden - aber was alles hätte passieren können! Erst als zehn Monate später, am 21. Mai 1992, als die ZETRA mit Granaten beschossen wurde, kam mir dieser Gedanke.
Das Konzert konnte ich nicht genießen, ich hatte viel zu viel zu tun. Ich habe sogar ein Interview gegeben, während die Musiker spielten, und erzählt, wie uns die Verlegung so schnell gelungen war.

Ich war überall, immer unterwegs. Am liebsten war ich oben, um alles im Blick zu haben. Der Ausblick von dort oben ist sehr schön.
Das Konzert dauerte zweieinhalb Stunden. Aber vorher mussten die Menschen stundenlang warten, bis sie in die Halle konnten. Das Konzert verlief dennoch ohne jeden Zwischenfall. Es gab keinerlei Ausschreitungen. Weder vor dem Beginn, noch währenddessen und auch nicht danach. Obwohl es sehr lange dauerte, bis alle Menschen die Halle wieder verlassen hatten.
Die ZETRA ist mein Haus, Arbeitsplatz, das Symbol der Olympischen Spiele. Ich und mein Team, wir betrachteten ZETRA als unser Heim und liebten es. Es war ja ein kleines Wunder, dass eine kleine Stadt wie Sarajevo die Olympischen Spiele 1984 austragen durfte. Wir haben damals aus ganz Jugoslawien Unterstützung für unsere Bewerbung bekommen. Wir haben alle Bewohner Sarajevos einbezogen. Sie waren mit Herz und Seele für die Olympiade. IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch hat bis zum Ende seines Lebens betont, dass die Olympischen Spiele in Sarajevo die besten gewesen seien.
Als die ZETRA 1992 brannte, war es unmöglich mit dem wenigen Gerätschaften gegen die Flammen anzukommen. Es waren zwar Feuerwehrleute da, aber die konnten nicht hoch auf das brennende Dach, weil sie von Scharfschützen beschossen wurden. Auf mich schossen sie auch, aber ich ließ mich nicht aufhalten.
„Die Feuerwehrleute warnten mich, ich solle nicht aufs Dach gehen. Aber sie wollten mich gar nicht töten.“
Die Feuerwehrleute warnten mich, ich solle nicht aufs Dach gehen. Aber sie wollten mich gar nicht töten. Hätten sie mich töten wollen, sie hätten die Möglichkeit dazu gehabt. Sie haben geschossen um mich zu vertreiben. Warum sie mich nicht treffen wollten? Ich weiß es nicht.
Auf einmal kam kein Wasser mehr. Ich hielt den Schlauch in den Händen, warf ihn beiseite und nahm die brennenden Balken und warf sie vom Dach. Und dann löschte ich mit den Geräten, die mir zugeworfen wurden, das Feuer. Irgendwann ging es dann von selbst aus. Den Innenraum der Halle hatten wir vorher hermetisch abgeriegelt, wir wollten das Feuer ersticken. Das hat auch funktioniert, aber in der Halle ist alles abgebrannt. Alles.
Frieden hat keinen Preis. Die Menschen sind keine Tiere. Aber es gibt Tiere in Menschengestalt. Europa und die Welt haben zu lange gewartet, um sich den Problemen in Jugoslawien, vor allem in Bosnien zu widmen. Ich weiß nicht, ob sie es nicht wollten oder nicht konnten. Es gibt viel Heuchelei in der Welt. Wir sollten bei aufflammenden Konflikten nicht darauf warten, bis sie ausbrechen, um sie erst dann zu lösen. Wir sollten sie schon im Keim verhindern. Die meisten Menschen wollen keinen Krieg. Sie wollen nicht töten. Es waren auch nicht die einfachen Leute, die töteten, es waren Verrückte, die das taten. Aber ich fürchte, wir haben nichts dazugelernt. Verstanden haben wir es, aber wir leugnen unsere Verantwortung. Das ist meine persönliche Interpretation.