Enver Hadžiomerspahić

“Dass es in Jugoslawien einen Krieg geben könnte, war für mich völlig undenkbar”

In der Nacht, in der das Olympische Museum von Sarajevo zerstört wurde, hatte Museumsdirektor Enver Hadžiomerspahić eine Vision - davon, wie die Künstler der Welt ein Zeichen gegen den Krieg und die Belagerung der Olympiastadt Sarajevo setzen. Aus dieser Vision wurde Realität: Dank Enver Hadžiomerspahićs inzwischen 20-jähriger Initiative wird Sarajevo bald eines der bedeutendsten Museen zeitgenössischer Kunst haben: das Ars Aevi Museum of Contemporary Art.

Ich kann nicht sagen, dass ich auf dem Konzert „Yutel für Frieden“ mit jemand Bestimmtem war; wir waren damals alle mit allen da. Ich stand unten im Stehbereich ziemlich genau in der Mitte, dicht gedrängt mit zehntausenden Menschen, wir alle vereint im kollektiven Gefühl der absoluten Zusammengehörigkeit. Dass es in Jugoslawien einen Krieg geben könnte, war für mich völlig undenkbar.

Eines Tages setzten sich meine Frau Jasminka und mein damals 21-jähriger Sohn Anur mit mir zusammen, es war kurz vor der Belagerung Sarajevos. Sie wollten, dass wir das Land verlassen. Jasminka sagte, sie glaube, etwas Schreckliches könne bald passieren, es könne einen Krieg geben. Ich glaubte das nicht und wollte bleiben. Ich glaubte fest an die positive Energie und die freundschaftlich-brüderlichen Beziehungen, die wir alle miteinander aufgebaut hatten in der Zeit des Sozialismus. Das alles würde doch nicht plötzlich verschwinden. Und so wanderten Jasminka und Anur aus, ich blieb in Sarajevo.

“Warum bombardiert jemand ein Olympisches Museum?”

Schon zu Beginn der Belagerung, im April 1992, wurde das Olympische Museum bombardiert. Es wurde zerstört, viele Werke wurden beschädigt. Damals war ich der Direktor des Museums. Bei den Olympischen Winterspielen in Sarajevo 1984 hatte ich die Eröffnungszeremonie gestaltet, die Olympiade und alle Exponate, die im Museum ausgestellt waren, bedeuteten mir viel. Die Zerstörung erschütterte mich, für mich war das eine ungeheure Enttäuschung. Wie war es möglich, dass in Jugoslawien ein Krieg ausbricht? Dass die Olympiastadt Sarajevo belagert wird? Dass jemand das Olympische Museum bombardiert?

In dieser Nacht kam mir eine Idee: Ich war mir sicher, dass die Künstler der Welt bereit sein würden, auf diese Ungerechtigkeit eine Antwort zu finden. Ich formulierte einen einzigen Satz:

„Sarajevo ruft die berühmtesten Künstler der Welt auf, mit ihren Werken eine Kollektion für das künftige Museum für zeitgenössische Kunst in Sarajevo zu schaffen.“

Diesen Satz schrieb ich nachts nieder, und am Morgen darauf fragte ich mich: Kannst du wirklich so vermessen sein, in diesen Zeiten für eine solche Vision zu werben, in der die Menschen in Sarajevo nicht wissen, ob sie morgen überhaupt noch am Leben sein werden? Die Scharfschützen wurden immer schlimmer, die Bombardierungen auch. Wir hatten kaum Wasser… Es war eine unvorstellbar grausame und schwere Situation.

Dennoch warb ich beim Bürgermeister und bei den Regierenden von Sarajevo für das Projekt. Wir beschlossen, dass ich die Initiative auf der Eröffnungsfeier der Biennale der Kunst in Venedig vorstellen sollte.

Im Juni 1993 schaffte ich es durch einen Tunnel aus dem belagerten Sarajevo hinaus, und nachdem ich in Italien ankam und die Idee auf der Biennale in Venedig vorstellte, habe ich so viel positive Energie erfahren, so viele Umarmungen, von den Künstlern Italiens, italienischen Familien, Institutionen, Städten, Museen: Es ist unglaublich.

“Das Projekt mag in Sarajevo erdacht worden sein, seine zweite Mutter aber ist Italien.”

Seit 1993 haben zehn zeitgenössische Museen - zum Beispiel in Mailand, Prato, Ljubljana, Wien und Bologna - Kollektionen zusammengestellt, ausgestellt und danach uns vermacht, Werke von 161 Künstlern. Ich will keinen dieser Künstler besonders hervorheben, aber ich bin sehr stolz darauf, dass es die berühmtesten und erfolgreichsten Künstler der Welt sind. .Auch heute noch werden weitere Kollektionen zusammengestellt, sie werden in den kommenden Jahren ausgestellt und an uns übergeben werden.

In drei Jahren wird der Neubau des zeitgenössischen Museums Ars Aevi im Zentrum Sarajevos eröffnen. Mein Freund, der Architekt Renzo Piano, hat es entworfen.