Naser Husić
„Wir waren eine Insel der Hoffnung“
Naser Husic arbeitete als Fernsehtechniker auf dem Konzert in der ZETRA. Er war ganz sicher: Das Blatt würde sich wenden, und die Vernunft siegen.
Wir waren stolz auf unser Land. Darauf, dass die ganze Welt zu Gast bei uns war. Wir fühlten uns als Weltbürger. Während der Olympischen Winterspiele 1984 erstrahlte die Zetra-Halle in einem besonderen Glanz. Ich war damals 16. In der Schule hatten sie gefragt, wer als Volunteer bei den Spielen mithelfen möchte. Ich war vom ersten bis zum letzten Tag vor Ort. An die Atmosphäre in der Stadt erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. So etwas vergisst man nicht. Heute erscheint mir diese Zeit unwirklich. Sie klingt fast wie ein Märchen, nach einer Utopie.

Mit 18 begann ich als Techniker beim Fernsehen in Sarajevo zu arbeiten. Doch damals mussten alle Männer für ein Jahr zur Armee, die Jugoslawische Volksarmee zog mich nach Belgrad. Von Dezember bis Juni 1989 war eigentlich alles in Ordnung. Doch in der Zeit danach nahm ich bereits die ersten Anzeichen von Nationalismus wahr. Dieses Gefühl beunruhigte mich. Ich war deshalb froh, als ich Ende 1989 wieder zu meiner Familie nach Sarajevo zurückkonnte. Hier war alles normal, hier fühlte ich mich gut. Sarajevo war damals das Zentrum für Musik, für Kultur, Politik, einfach für alles. Jeder, der damals in Sarajevo gelebt hat, weiß, wie einmalig diese Stadt war.

Beim Friedenskonzert in der Zetra habe ich als Techniker gearbeitet – mein Fernsehsender unterstützte „Yutel“ damals. Ich hatte nicht viel zu tun und konnte deshalb das Konzert genießen. Die Halle war voll von jungen Leuten, die halbe Stadt war dort, alle bekannten Musiker Jugoslawiens spielten auf der Bühne. Die Euphorie, die diese Masse an Menschen transportierte, war einfach unglaublich. Wir waren eine Insel der Hoffnung. Wir fühlten uns stark.
Wir dachten: Wenn die Welt das sieht, siegt der Verstand.
Ich war so überzeugt davon, dass ich nicht einmal Fotos von dem Konzert machte. Jetzt wird sich das Blatt wenden, jetzt wird alles gut. Wozu sollte man dieses Konzert also dokumentieren?

Ein Jahr später brannte die Halle ab. Die Szenen wirkten auf mich wie Bilder aus einem Film. Es fiel mir schwer das anzusehen. Ich bin auf eine sehr emotionale Weise mit der Halle verbunden – als sie brannte, fühlte ich mich als brenne auch ein Teil von mir. Ich verstand nicht, was passierte. Die Zetra war doch nicht einmal ein militärisches Ziel. Die Insel der Hoffnung war vom Meer der Unvernunft weggespült worden.
Es war der 1. Mai 1992 als ich spürte, dass der Krieg zu Hause angekommen war. Ich hatte nachts Bereitschaftsdienst beim Fernsehsender. Plötzlich schlugen im Gebäude nebenan zwei Granaten ein. Ich wusste, dass es jetzt losgehen würde, doch ich blieb in dieser Nacht an meinem Platz sitzen und arbeitete. Ich habe Sarajevo nie verlassen. Die gesamte Belagerungszeit verbrachte ich hier. Vieles aus dieser Zeit habe ich versucht zu vergessen und zu verdrängen, doch an manche Szene erinnere ich mich gut.

Während des Krieges gab es nur selten fließend Wasser. Ich machte mich also wieder mal auf den Weg zu einer der Wasserstellen. Dort wartete man im Schnitt mehrere Stunden bis man endlich dran war. Ich füllte meine Eimer mit 20 Liter Wasser und machte mich auf den Heimweg, als ich plötzlich ein seltsames, dumpfes Geräusch hörte. Ich hatte Angst vor den Scharfschützen, die sich überall versteckten und lief so schnell ich konnte. Als ich zu Hause angekommen war, kamen mir meine Eimer seltsam leicht vor. Ich stellte fest, dass sie durchschossen worden waren und ich das gesamte Wasser verloren hatte.

Heute steht die Zetra wieder, wo sie damals war, und erfüllt ihren Zweck. Ein paar Mal besuchte ich noch Konzerte in der Halle. Auch Sarajevo ist physisch wieder aufgebaut. Doch eine Vase, die einmal zerbrochen war und wieder zusammengesetzt wurde, ist nicht mehr dieselbe. Ich vermisse die Seele und den Geist von damals. Ich habe mich häufig gefragt, wo wir heute wären, hätte die Friedensbewegung gesiegt. Es gäbe keine verlorene Generation, kein Leid, uns würde es gut gehen, wir wären Mitglied der EU, und die Zukunft unserer Kinder wäre sicher. Ich werde Nationalismus niemals verstehen und ihn auch nicht nachvollziehen können. Nationalismus bringt nur Elend.