Safet Srna
"Hinter der Bühne gab es Bier und Bambolero"
Safet Srna ist gelernter Metallarbeiter. Seit sieben Jahren betreibt er in Linz seine eigene Firma. In seiner Freizeit covert er mit seiner „Cult-Band“ alte Jugo-Mucke. Der Sommer 1991 war der letzte vor dem Krieg, den er in der Heimat seiner Eltern verbrachte. Auf dem Zetra-Konzert fand er sich auf einmal hinter der Bühne wieder.
Ich bin in Österreich geboren, meine Eltern sind 1968 und 1973 als Gastarbeiter dorthin. Ich war fast jeden Sommer in den Ferien in Jugoslawien. Der Sommer 1991 sollte mein letzter in ihrer Heimat sein - vor dem Krieg.
Wir waren 15 und an jenem Tag lag etwas Besonderes über der Stadt. Menschen über Menschen. Alles war umsonst. Taxis, Busse, Straßenbahnen brachten die Leute kostenlos zur Zetra. Wir haben uns in einen Bus gequetscht, der aus Mostar gekommen war. Der war voll mit Punks, das weiß ich noch.
Vor dem Platz waren vielleicht doppelt so viele Menschen wie in der Zetra-Halle. Knapp 50.000 würde ich heute schätzen. Damals haben wir nur versucht, irgendwie reinzukommen. Ich war mit zwei Freunden unterwegs, eigentlich wollten wir drei Mädchen wieder treffen, die wir am Abend zuvor kennengelernt hatten, aber keine Chance in dem Gewühl. Wir haben es gerade noch so reingeschafft und haben uns dann irgendwie links neben die Bühne treiben lassen. Es gab ja kaum Security, alles war offen. Plötzlich fanden wir uns in der Umkleide der Bands wieder.
Und plötzlich bekam ich eine Dose Bier überreicht - von Goran Bregović
Ich machte damals selbst Musik, engagierte mich in einem jugoslawischen Kulturverein, spielte Gitarre. Für mich war es das größte, auf einmal vor Davor Ebner zu stehen. Regina, seine Band, war damals alles für mich. Und er war ja nur drei, vier Jahre älter. Dann war es Haris Džinović, der den Bambolero anstimmte. Alle haben eingestimmt. Und plötzlich bekam ich eine Dose Bier überreicht - von Goran Bregović. Alle meine Idole waren damals dort. Bis heute spielen wir ihre Musik. Ich bin Frontman in der „Cult-Band“- Wir covern die alte Jugo-Mucke bis heute. Wir haben sogar schon drei Singles veröffentlicht.

Meine Eltern waren damals auch in Sarajevo. Meine Mutter hat das komplette Konzert auf VHS aufgenommen. Ich weiß noch, dass alle in der Familie ziemlich schockiert waren über das, was in Kroatien passierte. Aber alle dachten auch, das geht in zwei bis drei Wochen wieder vorbei. Meine Eltern wollten eigentlich bald zurück nach Sarajevo, sie waren gerade dabei, ein Haus zu bauen. Das war fast fertig. Meine ältere Schwester lebte mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern schon wieder in Sarajevo.
Mein Vater ist deshalb auch dort geblieben, um nach dem Haus zu sehen und nach seinen Enkelkindern. 1992, nachdem es der Krieg auch bis nach Sarajevo geschafft hatte, wollte mein Vater eigentlich mit meiner Schwester zurück nach Österreich. Es war einer der letzten Tage, als das noch einfach so möglich war, als noch Busse nach Kroatien fuhren. Entsprechend dicht war das Gedränge. Meine Schwester und die Kinder kamen gerade noch so in einen Bus, mein Schwager half ihr noch mit dem Gepäck, er wollte eigentlich wieder raus und meinem Vater Platz machen. Aber dazu kam es nicht mehr, der Bus fuhr an und ließ ihn allein zurück.
Meinen Vater würde ich erst im Dezember 1995 wieder sehen
Danach hatte er keine Chance mehr, einfach so rauszukommen. Er war damals 54, eine lebensgefährliche Flucht, das wollte er nicht. Keiner wusste ja, dass wir uns erst im Dezember 1995 wieder sehen würden, dass ich meine Pubertät also ohne meinen Vater verbringen würde.
In dieser Zeit haben wir vielleicht fünf Mal mit ihm telefoniert, ganze zwei Briefe sind bis nach Österreich durchgekommen. Ich weiß noch, dass wir zum verabredeten Zeitpunkt manchmal stundenlang bei einem Funker warten musste, bis mein Vater durchkam. Und ich erinnere mich, dass er sich am Telefon bitter über die Preise in Sarajevo beschwerte. 60 Mark für ein Kilo Fleisch, ein halber Zentner Mehl kostete 150 Mark. Er habe ziemlich abgenommen, sagte er.
Wir haben ihm immer versucht, Geld zu schicken. Meine Mutter hat in einer großen Firma geputzt. Ich fürchte aber, dass mein Vater das meiste davon in das Haus gesteckt hat, das er immer wieder reparierte, wenn es vom Krieg etwas abbekommen hatte. Vielleicht hat ihn das Haus sogar am Leben gehalten, wer weiß.
Ich habe den Krieg nicht selbst erlebt, aber er trennte die Menschen auch in Österreich. Mich zum Beispiel von meinem besten Freund. Wir waren eigentlich unzertrennlich von Klein auf. Bis wir 16 waren. Auf einmal fiel ihm ein, dass ich aus Bosnien sei. Wir haben uns aus den Augen verloren.
Ich war 1996 das erste Mal wieder in Sarajevo. Wir lebten in unserem Haus, das mein Vater gerettet hatte oder umgekehrt. Meine Mutter zog erst 1999 nach Sarajevo. Die beiden sind immer noch ein Paar. Wenn ich heute in der Stadt bin, dann fehlt mir eigentlich nichts. Es ist immer noch eine wunderbare Stadt. Leider ist die Arbeitslosigkeit so hoch. Es sind zu viele Leute zuhause und haben zu wenig zu tun. Das ist nicht gut.