Davor Ebner
"Diese Energie war abnormal"
Am 28. Juli 1991 stand Davor Ebner auf der Bühne der ZETRA-Halle. Er war der Sänger der erfolgreichen jugoslawischen Band Regina, die damals in ganz Jugoslawien die Hallen füllte. Nur wenig später, kurz nach der Veröffentlichung ihres zweiten Albums, musste Regina ihre öffentlichen Auftritte einstellen - der Krieg war ausgebrochen. 2006 fanden die Musiker wieder in alter Konstellation zusammen, spielten 2007 als Vorband der Rolling Stones in Budva, und beim Eurovision Song Contest 2009 erreichte Regina für Bosnien-Herzegowina den neunten Platz.
Weshalb ich mich so gut an das Konzert erinnere: Diese Energie war abnormal. Ich will keine abgedroschenen Worte wie Brüderlichkeit und Einigkeit in den Mund nehmen, aber dieses zwischenmenschliche Verständnis, das war einfach da und ganz besonders. Und dann, nur kurz danach, war es weg, da war auf einmal eine riesige Distanz zwischen den Völkern, zwischen den Menschen. Inzwischen wächst das Verständnis füreinander wieder, ganz langsam, am Ende kommen wir vielleicht wieder dahin, dass wir uns verstehen.
An diesem Abend drängelten sich über 20.000 Leute in den unteren Teil der Halle hinein, das war in diesem Moment eine riesige Hippie-Kommune, alle sagten "Wir wollen kein Blut, wir wollen Liebe.“ Die Lichter in der ganzen Halle waren eingeschaltet, normalerweise ist es bei Konzerten dunkel, wir aber haben die Zuschauer sehen können. So war es beim letzten großen Rock'n Roll-Konzert im ehemaligen Jugoslawien.

Wir waren so naiv. Wir waren nicht dumm, wir waren naiv. Rock'n Roll-Musiker wollen Frieden, Liebe, sie wollen positive Energie verbreiten. So sehr ich uns deswegen mag, heute frage ich mich: Wie konnten wir nur so sein? Was aber hätten wir anders machen können? Wir hätten viel mehr Verständnis gebraucht, viel mehr Kommunikation zwischen den Völkern, zwischen den Menschen. Wie hätte das gehen sollen? Wir hatten damals eigentlich keine Chance mehr, wir konnten nichts mehr tun. Es konnte nicht mehr aufgehalten werden. Und wir waren so naiv, wir dachten, das passiert irgendwo da drüben. Aber das Rad hatte schon begonnen, sich zu drehen, eine große Maschinerie war gestartet - wir konnten einfach nichts machen.
Wir lebten damals in Sarajevo noch im Frieden, als der Krieg in Kroatien schon begonnen hatte. Eine Kolonne von hunderten Autos, vor allem Taxifahrer, machte sich auf den Weg, um den Krieg aufzuhalten. Sie dachten, sie können sich ihm einfach in den Weg stellen. Sie sind die vier Stunden rüber gefahren nach Vukovar und wurden dort von Soldaten aufgehalten. Sie kamen zurück und erzählten uns: "Das ist so eine Hölle da, das ist Horror. Das könnt ihr euch gar nicht vorstellen!"
Im April 1992, als die Kämpfe in Sarajevo begannen, stieg ich in den letzten Zug, der nach Banja Luka fuhr. Gleich am nächsten Tag ging es weiter nach Belgrad, mit viel Mühe, vorbei an vielen Barrikaden. Von Belgrad aus machte ich mich auf den Weg nach Deutschland und kam zunächst bei einem Onkel in Bochum unter. Dort lebte ich drei Monate und zog dann nach Frankfurt um - trotz vieler bürokratischer Hürden.
Ich wollte kein Sozialfall sein und suchte Arbeit. Ich hatte alle möglichen Jobs: Autowäscher, Fensterputzer, Sicherheitsmann in einem Kleidungsgeschäft. Zuletzt arbeitete ich als Altenpfleger. Zu Beginn lebte ich in einer Hippie-Kommune zusammen mit zehn anderen Personen aus Sarajevo, die es nach Frankfurt verschlagen hatte. Später hatte ich dann eine Wohnung.
Ich war vollkommen in die deutsche Gesellschaft integriert. Nach sieben Jahren begriff ich aber, dass es unmöglich sein würde, in Deutschland zu bleiben. Denn in der Politik herrschte zu der Zeit die Meinung vor, dass alle Flüchtlinge zurückkehren sollten. Um nicht abgeschoben zu werden, verließ ich Deutschland Richtung Kroatien. Schließlich kehrte ich nach Sarajevo zurück. 2005 kam unsere Band wieder zusammen. Wir spielen noch heute.
Seither ist so viel Zeit vergangen, an vieles kann ich mich gar nicht mehr erinnern, die Zeit vergeht wie im Flug, wir werden älter, die Prioritäten verschieben sich. Auch hier gibt es viele Leute, die gut und normal leben, aber jammern. Jammern hilft nicht, man muss die Dinge angehen. Wenn es um Politik geht, wird man nie zwei Menschen finden, die gleicher Meinung sind. Aber das macht nichts. Lasst uns die Ärmel hochkrempeln, zusammen arbeiten, zusammen sitzen, Karten spielen, zusammen trinken, einander heiraten und Kinder kriegen, damit die Gesellschaft besser wird. Das ist die einzige Lösung, wenn sich unsere Region irgendwie erholen soll.
Regina-Hits auf YouTube:
youtube.com/user/gruparegina
https://www.youtube.com/watch?v=AuzxtxPfA6Y
https://www.youtube.com/watch?v=E0lMdBCOO8E
https://www.youtube.com/watch?v=zsoVvTVreKU
Regina beim Eurovision Song Contest: