Husein Mahmutović

„Wir waren wie Tontauben“

Husein Mahmutović war 1991 zum ersten Mal auf einem großen Konzert. Er wollte die Band EKV unbedingt live sehen. Er hatte eine jugoslawische Flagge dabei und skandierte: „Ihr werdet uns nicht teilen“. Der Musiker lebt bis heute in Sarajevo.

Untertitel über "CC" aktivieren

Am 28. Juli 1991 war ich 16 Jahre alt und zum ersten Mal auf so einem großen Konzert. Das blieb
unvergesslich. Es waren doppelt so viele Menschen in der Halle als eigentlich erlaubt. Ich stand fünf bis zehn Meter von der Bühne entfernt. Ich hatte ein grünes T-Shirt mit dem Schriftzug „Atletik“ an. Das weiß ich noch, weil ich später eine Videoaufnahme von der Bühne gesehen habe, auf der ich mich erkannt habe. Ich wollte unbedingt EKV live sehen, für mich damals die größten Stars Jugoslawiens. Und ich wollte mich mit der friedlichen Bewegung solidarisieren. Die politische Situation war ja schon angespannt. Alles war schon aufgeladen. Wir sind deshalb mit der jugoslawischen Flagge zur Zetra. In den alten Videos kann man sogar sehen, wie wir „Jugoslawien“ und „Ihr werdet uns nicht teilen“ skandiert haben.

Die jugoslawische Flagge hing auch in meinem Zimmer. Ich gehöre wahrscheinlich der ersten echten Generation an, Titos Pionieren, die Jugoslawen waren. Überzeugt, apolitisch, anational. Auf das Konzert bin ich allerdings alleine gegangen. Zwei meiner Freunde, die Namen sind nicht wichtig, wollten nicht mit. Ich glaube, sie wussten, dass es vergebens sein würde. Es waren Kinder von Militärs. Ich habe erst viel später begreifen können, dass sie wegen ihrer Eltern nicht gehen durften. Manche Leute wussten, was sich ereignen wird und wie illusorisch es ist, für den Frieden zu tanzen.

Husein Mahmutović im Jahr 1991

Wir nicht, wir waren zu naiv. Ich rede wirklich ungern darüber, was danach kam. Man musste dann sehr schnell zu jemanden werden, konnte nicht einfach mehr Jugoslawe sein. Nachdem die Jugoslawische Volksarmee und die Paramilitärs anfingen zu schießen, als ich mein Leben gefährdet sah, war das technisch unmöglich. Jugoslawien konnte ich nur noch als eine schöne Idee aufbewahren, die mich an die schönen Zeiten erinnert.
Sie wurde durch die Heckenschützen radikal vernichtet. Diese neue Realität mussten wir einfach hinnehmen.

Auf das Konzert bin ich alleine gegangen. Zwei meiner Freunde wollten nicht mit. Ich glaube, sie wussten, dass es vergebens sein würde.

Ich glaube auch heute noch, dass wir als Bürger Sarajevos alles getan haben, auch wenn wir ziemlich naiv waren. Wir sind unbewaffnet auf irgendwelche Banditen losgegangen, die sich
hinter Pappeln auf der Grbavica versteckten. Wir sind unbewaffnet in Richtung der
Polizeischule auf der Straße der „Brüderlichkeit und Einheit“ gelaufen, welche Ironie. Ich weiß noch, ich hatte eine rote Converse-Jacke an, und direkt vor mir haben sie einen Jungen, der sein Fahrrad dabei hatte, getroffen. Er hatte eine große Wunde am Oberschenkel.

Husein Mahmutović im Levi's Pulli, den er auch beim Konzert in der ZETRA-Halle trug

Ich bin Musiker mit Leib und Seele, Musik war die Oase, die mich gegen diese neue Realität aus Blut, Krieg und Tod beschützte. Wir waren doch alle wie Tontauben. Auf mich haben die Heckenschützen drei Mal geschossen. Einmal bohrte sich das Geschoss vor meinem Kopf in die Wand. Einmal hat mir jemand unter die Beine geschossen. Ich kann nicht beschreiben, wie es sich anfühlt, plötzlich zu wissen: Auf dich wurde gezielt, und dann wurdest du doch verfehlt. Gott sei Dank!

Heute lebe ich noch immer in Sarajevo, einem anderen als damals. Heute lebt die ganze Welt nur ein und dieselbe Geschichte. Jetzt eifern wir einer globalen Sprache nach, wir sind sowohl technologisch als auch kulturell von den Trends der Welt geprägt.

Ich glaube, dass Jugoslawien als Blaupause für die ganze Welt herhalten kann, ein Pilotprojekt, das auf brutale Weise zerstört wurde. Dafür reichten wenige nationalistische Triebe, vor allem bei einfachen Leuten hat dieser Samen gefruchtet. Bis heute haben wir uns nicht davon erholt.