Jasmin Kulenović
Happy End mitten im Krieg
Ende Mai hat das ZETRA Project auf seinen Facebook-Seiten ein Video veröffentlicht, das sich mehr als 150.000 Menschen angeschaut haben: Ein Gefangenenaustausch zwischen gegnerischen Soldaten, die sich mit Achtung, Fairness und Galgenhumor begegneten - ein Dokument, das belegt, dass diejenigen, die im Krieg kämpfen, nicht diejenigen sind, die ihn wollen. Viele Menschen wollten von uns wissen, wie es zu diesem Gefangenenaustausch kam. Hier ist die Geschichte.
Gefilmt hatte den Gefangenenaustausch Emir Morina. Emir arbeitete damals - und auch heute noch - als Kameramann für das bosnisch-herzegowinische Fernsehen. Er ist 47 Jahre alt und kommt aus Hadžići, einer Stadt, in der Serben und Bosniaken zusammen lebten – und auch wieder leben. Für Emir war es nie wichtig, ob seine Freunde Serben, Kroaten oder Bosniaken waren. Am 28.7.1991 war er mit Freunden aller Nationalitäten auch auf dem Friedenskonzert in der ZETRA-Halle. Mit einem Krieg hatte er nicht gerechnet. Auf das Konzert ging er vor allem, um die bekanntesten Bands Jugoslawiens spielen zu hören. Der Eintritt war kostenlos, so etwas habe er sich nicht entgehen lassen können, sagt er.
Die Stadt Hadžići, in der Emir Morina geboren und aufgewachsen ist und in der er immer noch lebt, liegt nahe des Dorfes Kasatići, in dem der Gefangenenaustausch damals stattgefunden hatte. Am 25. Januar 1993 erfuhr Emir frühmorgens davon und machte sich mit seiner Kamera auf den Weg. Er begab sich in Lebensgefahr, denn Kasatići lag zwischen den Frontlinien der serbischen und bosniakischen Armeen. Heute, als Vater von zwei Mädchen, sagt er, würde er das nicht nochmal tun. Damals war er 23, und er war selbst vierzig Tage lang von serbischen Soldaten unter Hausarrest gehalten worden, wurde als Gefangener ausgetauscht, arbeitete wieder für das Fernsehen und kämpfte als Soldat in der bosnisch-herzegowinischen Armee.
Gemeinsam mit den bosniakischen Soldaten kam er zwei Stunden später als verabredet an die Stelle, an der der Austausch stattfinden sollte. Während er filmte, erkannte er durch seine Kamera auf der anderen Seite unter den Gefangenen einen alten Freund und Nachbarn: Jasmin Kulenović.
“Die Nationalität oder Religionszugehörigkeit eines Menschen ist nicht das, was ihn zu einem guten oder schlechten Menschen macht.“
Jasmin Kulenović war, ebenso wie Emir Morina, in Hadžići geboren und aufgewachsen, inzwischen lebt er wieder dort. Zu Beginn des Bosnien-Kriegs brachten serbische Soldaten die Stadt unter ihre Kontrolle und setzten alle Nicht-Serben in ihren Wohnungen fest. Auch Jasmin, seine Frau und ihre beiden Söhne, fünf und zwei Jahre alt damals, kamen unter Hausarrest. Jasmin musste sieben Monate lang Zwangsarbeit verrichten, Holz fällen gehörte dazu, beim Sturz von einem Baum brach er sich wenige Tage vor dem Gefangenenaustausch den Arm.
Eines Tages kam Jasmin von der Zwangsarbeit nach Hause und fand die Wohnung leer vor; sein Vater erzählte ihm, dass serbische Soldaten seine Frau und beide Kinder mitgenommen hätten. Erst zwei Monate später, nachdem Jasmin als Gefangener ausgetauscht worden war, fand er Frau und Kinder wohlbehalten wieder.
Sein Austausch fand also am 25. Januar 1993 statt. Frühmorgens kam ein serbischer Soldat in seine Wohnung und sagte, dass er ihn gegen seine Eltern tauschen wolle, die von der bosniakischen Seite gefangen gehalten wurden. Jasmin hatte fünf Minuten Zeit, einen Beutel mit Klamotten und Spielsachen für seine Kinder zu packen, dann machten sie sich auf den Weg nach Kasatići.
In Kasatići angekommen, musste er auf seine Freilassung noch mehr als zwei Stunden warten, weil die bosniakischen Soldaten deutlich später kamen als verabredet. Es waren Stunden der Hoffnung und Angst, denn die serbischen Soldaten wurden immer nervöser, erzählt Jasmin. Einer habe vorgeschlagen, die Gefangenen zu erschießen und so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Der Anführer habe diesen Soldaten aber zurechtgewiesen, so dass alle weiter warteten, bis die Bosniaken endlich kamen.
Auch für Jasmin war es nie von Bedeutung, welcher Nationalität Menschen sind. So haben es ihm seine Eltern beigebracht. “Die Nationalität oder Religionszugehörigkeit eines Menschen ist nicht das, was ihn zu einem guten oder schlechten Menschen macht“, sagt er. Jasmins Mutter ist orthodoxe Christin, sein Vater Moslem. Er selbst ist Atheist. Regelmäßig besucht er Freunde und Verwandte in Serbien, Makedonien und Kroatien. Sein Patenkind ist ein Kroate, der in Montenegro lebt und mit einer Serbin verheiratet ist. “So habe ich immer gelebt.”
Im Video vom Austausch sind vor allem zwei Soldaten zu sehen, die verhandeln: Ein serbischer Soldat mit schwarzem Stirnband und ein bosniakischer Soldat mit grünem Stirnband. Der Serbe heißt Goran Krstić und lebt heute als Taxi-Fahrer in der Stadt Gradiška. Der Bosniake hieß Elvir Ejubović. Er wurde eine Woche nach dem Austausch von einem Scharfschützen erschossen auf dem Rückweg von einem weiteren Gefangenenaustausch, der im Video angebahnt und vorbereitet wurde.
Dennoch ist der Austausch von Kasatići einer, der gelang und Leben rettete. „Ein Happy End inmitten eines brutalen Kriegs“, sagt Emir Morina. Er hat das Video vor zwei Jahren auf Youtube hochgeladen, um der jüngeren Generation von der Sinnlosigkeit des Krieges zu berichten.