Marko Kalabota

Krieg wird leider nun mal nicht dort entschieden, wo er stattfindet

Marko Kalabota war sieben Jahre alt, als das Konzert in der Zetra stattfand. Er wusste davon nichts, seine Familie floh zu der Zeit nach Österreich. Er hat erst davon erfahren, als er anfing, seine Geschichte musikalisch zu verarbeiten.

Ich war sieben Jahre alt, als das Friedenskonzert in der Zetra-Halle in Sarajevo stattfand. Ich wusste davon nichts. Es war die Zeit, als wir nach Österreich geflohen sind. Ich habe erst vor zwei, drei Jahren von einem Freund beim Studium davon gehört, dass es dieses Konzert gab. Wie viele andere habe ich nicht gewusst, wie stark die Friedensbewegung in ganz Jugoslawien gewesen war. Wenn man die Aufnahmen von dem Konzert sieht, dann fragt man sich schon, ob nicht auch alles hätte anders kommen können.

Ich war damals zu jung, um zu verstehen, was mit dem Land passierte. Ich habe mich erst in den vergangenen Jahren mit meiner Familiengeschichte auseinandergesetzt und diese musikalisch verarbeitet. Ich mag Hiphop, und in meinen Songs habe ich versucht, die alten Melodien von damals zusammen mit serbischen, bosnischen und kroatischen Freunden wieder aufleben zu lassen. So habe ich meinen eigenen Weg gefunden, um alles zu verarbeiten. Zum Beispiel in diesem Song, den ich „Meine Heimat“ genannt und 2003 zum Einmarsch der Amerikaner in den Irak geschrieben habe. Krieg wird leider nun mal nicht dort entschieden, wo er stattfindet.

Krieg wird nicht dort entschieden, wo er stattfindet: Marko Kalabotas Song „Meine Heimat“, den er anlässlich des 2. Irak-Kriegs produziert hat

Ich habe kaum eigene Erinnerungen. Ich lebte mit meiner Familie in Kroatien, in Sisak, ein Gebiet in dem viele Serben und Bosnier lebten. Ich erinnere mich an Schüsse, die erst weit entfernt schienen, aber immer näher kamen. Ich erinnere mich, dass auf einmal das Militär das Straßenbild dominierte. An Busse voll mit Kindern. Und ich erinnere mich an eine Pistole, mit der ich fast meinen Onkel erschossen hätte. Die lag irgendwo rum, ich dachte, es sei ein Spielzeug und zielte auf ihn. Sie war geladen, mein Onkel packte gerade noch so meinen Arm, bevor ich abgedrückt hätte.

Bei uns brach ein echter Nachbarschaftskrieg aus. Unsere eigenen Nachbarn warfen uns zweimal eine Granate aufs Haus. Einmal saßen mein Onkel, seine Frau und die zwei kleinen Kinder gerade beim Abendessen. Nur Gott weiß, wieso nichts passiert ist.

Und ich erinnere mich an eine Pistole, mit der ich fast meinen Onkel erschossen hätte.

Meine Familie war gespalten: Meine Mutter war serbisch, beziehungsweise russisch-orthodox, mein Vater wurde als gebürtiger Kroate gleich zu Kriegsbeginn eingezogen. Wegen meinem Vater wurde meine Familie lange verschont, doch später wurde er von kroatischen Militärs entführt und in eines der Konzentrationslager verschleppt, in dem die Serben oder eben „Serbenfreunde“ wie mein Vater abgeschlachtet wurden. Nur durch Zufall erkannte ihn einer der Soldaten. So verprügelten sie meinen Vater „nur“ und setzten ihn auf einer Wiese aus.

Meine Mutter war in der KPJ, der kommunistischen Partei, aktiv. Sie ging damals demonstrieren. Und hat früh erkannt, wohin das Ganze führt. Deshalb haben wir schon 1991 das Land verlassen und sind bei Verwandten und Bekannten in Österreich untergekommen. Wir beantragten Asyl, durchliefen den kompletten Immigrationsprozess, ohne Hilfe vom Staat zu bekommen. Ich wohnte mit meiner Mutter in einem Obdachlosenheim für Frauen. Nach der Schule verbrachte ich die Nachmittag in einer Tagesheimstätte, während meine Mutter arbeitete. Ich hatte keinen Tisch oder etwas ähnliches, wo ich meine Hausaufgaben hätte machen können. Ich lernte also auf dem Boden kniend Deutsch. Meine Mutter träumte davon, dass ich irgendwann eine vernünftige Ausbildung abschließen würde. Bis dahin war es ein steiniger Weg, aber ich habe es vor zwei Jahren meinen Abschluss in Wirtschaft an der Hochschule in Innsbruck nachgeholt. Heute arbeite ich in der Nähe von Bregenz als Projektmanager für ein Online-Portal.

Marko Kalabota 1993 im Flüchtlingsheim Dornbirn