Milan Trivić

Gefangen in der eigenen Stadt

Milan Trivic hat bis zum Krieg für Yutel gearbeitet, dem letzten unabhängigen TV-Sender Jugoslawiens. Gemeinsam mit den Musikern einiger Rockbands hatte er die Idee für das Zetra-Konzert.

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1991 habe ich für Yutel gearbeitet. Ein Privatsender, aber wenn man so will, war es der letzte unabhängige Fernsehsender in Jugoslawien. Eine letzte Oase der Unbeschwertheit. Zumindest, solange nicht Kabel gekappt und Relaisstationen beschossen wurden. Anfang der neunziger Jahre arbeiteten hier die besten Journalisten des Landes. Ein paar Wochen vor dem Konzert kamen ein paar Rockbands aus Sarajevo auf mich zu - Lazy, Amir Basot, Tifa, Gino Banana und Branko Likic, ihr Produzent. Die teilten sich ein Studio im Bezirk Skenderija. Dort hatten sie dieses Lied geschrieben, das den Namen „Yutel za mir“ ("Yutel für den Frieden") tragen sollte. Es sollte ein Song für das Miteinander, den Frieden und die Liebe sein. Sie wollten alle Musiker Sarajevos zusammenbringen und das Lied auf einer Art Live Aid-Konzert spielen. Und sie wollten, dass Yutel darüber berichtet. Das war die erste Idee. Und dann begann sie zu wachsen.

Damals fand ich es seltsam, dass Yutel im Namen des Songs vorkommen sollte, aber die Bands wollten das unbedingt. Also blieb es bei „Yutel za mir“. Heute freut mich das irgendwie. Schließlich kamen am 28. Juli 1991 alle populären Bands aus Jugoslawien nach Sarajevo. Jeder wollte dabei sein, wir mussten gar nicht groß fragen. Es wurde eher zum Problem, wenn wir jemanden vergessen hatten. Menschen aus dem ganzen Land kamen, Hunderttausende. Eigentlich sollte das Konzert draußen stattfinden, doch dann fing es an zu regnen, so dass wir beschlossen, in die Zetra umzuziehen. Es war das reinste Chaos. Aber am Ende haben sogar die Taxifahrer die Zuschauer kostenlos rüber in die Halle gefahren. An diesem Tag kamen die Menschen zusammen, um den Frieden zu feiern. Das waren keine passiven Zuhörer, die zu einem Konzert kommen, um Musik zu hören. Sie waren ein wesentlicher Teil davon.

"Ich hätte ihm am liebsten meine Faust ins Gesicht geschlagen."

Das Konzert begann mit dem Song "Yutel za mir", und am Ende sangen ihn alle noch einmal. Vergeblich, wie wir heute wissen. Nur ein paar Monate später wurde ich an einer der Barrikaden von einem 18-jährigen Soldaten gefragt: „Welche Nationalität haben Sie?“ Wenn er keine Kalaschnikow dabei gehabt hätte, ich hätte ihm am liebsten meine Faust ins Gesicht geschlagen. Ich kam dann noch zurück nach Hause, meine Wohnung lag im Bezirk Dobrinja, aber ich kam nicht mehr zum Sender. Erst nach zwei Monaten schaffte ich es wieder zu Yutel, aber es gab kein Zurück mehr nach Hause in mein Stadtviertel. Also musste ich mir eine neue Wohnung suchen. Erst war ich gefangen in meiner eigenen Stadt. Dann fand ich eine leere Wohnung, die Türen standen offen, ich ging hinein, schlief hier, hatte nur noch das, was ich an mir hatte, suchte mir was zu Essen, so war das. Jemand hat mir eine alte VHS-Kamera geschenkt und ich habe angefangen zu filmen. 14 Stunden Material habe ich während der Belagerung produziert. Daraus habe ich Dokumentarfilme geschnitten. Ein Film heißt: „Hochzeit in Sarajevo“. Es geht um ein junges Paar. Er starb am Tag vor der Hochzeit. Sie ließ sich trotzdem mit ihm verheiraten, danach wurde er beerdigt.

Wir alle lebten normal und gut... Ich dachte, uns könnte nichts passieren, es kann keinen Krieg geben. Selbst als die ersten Schüsse fielen, sagte ich, das ist in 15 Tagen vorbei. Dann dachte ich, Europa wird so etwas nicht zulassen am Ende des 20. Jahrhunderts. Ich wurde enttäuscht.

Ich war noch bis Anfang ´95 in Sarajevo. Danach habe ich für die BBC gearbeitet. Heute weiß ich, dass ein Krieg in einer Sekunde ausbrechen kann. In jedem Land der Welt. Dafür braucht es nur ein paar wenige Verrückte. Mit dem Frieden ist es wie mit einem pachtvollen Bauwerk. Man braucht sehr viel Wissen, Liebe und Mut, um es zu errichten. Es reichen aber zwei Menschen, die in den Ecken Dynamit legen, um es zu zerstören.