Mirsad Pozder

“Von den 20 Millionen Jugoslawen haben 19,5 Millionen gedacht: Es wird schon alles gut gehen”

Mirsad Pozder lebt seit seiner Geburt in Sarajevo nahe der ZETRA-Halle. Mit 13 Jahren ging er auf das Friedenskonzert, und glaubte, die Welt verändern zu können. Als er 14 war, begann der Krieg, die Front verlief durch sein Viertel. Als er 18 war, ging der Krieg zu Ende, und Mirsad sagt, er habe zehn Jahre gebraucht, um wieder zu sich zu kommen.

Dass etwas nicht stimmt, dämmerte mir, als ich am 9. März 1991 im Fernsehen sah, wie die Jugoslawische Armee in Belgrad gegen Demonstranten vorging. Zwei, drei Monate zuvor gab es ja Wahlen, die Slobodan Milosevic knapp für sich entschieden hatte, und die Opposition ging auf die Straße, um für die Pressefreiheit zu demonstrieren, die er einschränken wollte. Dreizehn Jahre alt war ich damals, und ich beschloss, politisch aktiv zu werden.

Die Fernsehbeiträge über blutige Zusammenstöße häuften sich, und die Mitarbeiter des Senders Yutel wollten mit einem Friedenskonzert in Sarajevo ein Zeichen setzen. Am 28.7. sollte es stattfinden, doch an dem Tag begann es morgens zu regnen. Die Stadt war schon voller Menschen, die von überall aus Jugoslawien nach Sarajevo gekommen waren, und es hieß, wegen des Regens muss das Konzert in die ZETRA-Halle verlegt werden.

Ich kam gegen 18 Uhr in die Halle, sie war schon völlig überfüllt, sodass ich nur einen Platz ganz oben auf der Tribüne gefunden habe. Von oben sah ich, dass der Stehbereich unten so voller Menschen war, dass kein Streichholz mehr hineingepasst hätte. Und trotzdem herrschte eine Atmosphäre des Friedens, der Liebe, der Hoffnung. Auch wenn wir nicht wussten, an wen wir diese Botschaft schickten, so war sie doch sehr klar: Seht her, wir sind so viele, es gibt Hoffnung auf Frieden, ihr könnt uns nichts.

Ich erinnere mich an den famosen Auftritt von Ekatarina Velika. Damals liebte ich diese Band nicht nur, ich lebte sie voll und ganz. Ich erinnere mich auch an die Musiker, die gemeinsam das Lied „Liebe ist alles“ sangen, sozusagen die Hymne der Bewegung. Die vielen Musiker, die sie damals gemeinsam auf der Bühne sangen, gaben mir als Kind Hoffnung: Es gab da also auch Ältere, die sich sorgten und Schlimmes verhindern wollten, dachte ich. Menschen, die, wie ich, die Lage beruhigen wollten.

Wir schaffen das, schaffen das, schaffen das…

Auf dem Konzert war ich mit zwei Freunden. Wir drei gingen hin, weil wir dachten, wir könnten etwas bewegen. Wir wollten die Welt verändern. Das Gefühl, das mich damals beflügelte, war: Wir schaffen das, schaffen das, schaffen das…

Von ganz oben auf der Tribüne hatten wir einen guten Überblick über alles. Unten im Stehbereich war in der Mitte ein hohes Podest, auf dem die Fernsehkameras standen. Daneben hielten einige der Konzertgänger ein großes, lilafarbenes Transparent mit einem aufgemalten großen Peace-Zeichen in die Luft. Und von mir aus gesehen auf der rechten Seite vor der Bühne schwang jemand andauernd eine riesengroße jugoslawische Flagge.

Die Atmosphäre war einfach einmalig, unglaublich… Für mich ist das Konzert vielleicht auch deshalb so besonders, weil es das erste große war, auf das ich ging. Aber es gab da auch diese unterbewusste Angst: Was wird morgen sein?

Ich wohne etwa einen Kilometer von der ZETRA-Halle entfernt. Seit meiner Geburt lebe ich da. Während des Krieges verlief dort die Front. Was soll ich noch mehr sagen? Manchen zerstörte der Krieg die Jugend, manchen die Kindheit oder das Altsein. Mir wurde meine Jugend zerstört, die gesamte. Als der Krieg zu Ende ging, brauchte ich noch zehn Jahre, um zu begreifen, was geschehen war.

Wenn wir doch nur ein kleines bisschen mehr Mut gehabt hätten...

Von den 20 Millionen Jugoslawen haben 19,5 Millionen gedacht: Es wird schon alles gut gehen. Aber 500.000 haben an dem gearbeitet, was dann passierte und noch immer geschieht. Bis heute bin ich davon überzeugt, dass wir nur ein kleines bisschen mehr Mut gebraucht hätten, um den Krieg zu verhindern. Heute sehen wir ja, dass kaum ein Mensch diesen Krieg wirklich wollte, dass wir alle da irgendwie reingesogen worden sind. Jeder brauchte einen Schuldigen für irgendwas, aber niemand wollte schuldig sein.