Srđan Vuletić
Im Krieg sterben Menschen, keine Zahlen
Der preisgekrönte bosnische Filmemacher Srđan Vuletić studierte vor dem Krieg an der Filmakademie in Sarajevo. Zwischen 1992 und 1995 arbeitete er als Medizintechniker im Krankenhaus. In dieser Zeit drehte er mehrere Dokumentarfilme, unter anderem "I burnt legs" über seine Erlebnisse mit den verwundeten Patienten.
Mir scheint es so, als ob wir heute in einer ähnlichen Situation sind wie damals. Man muss den Leuten heute wieder beibringen, dass Frieden besser ist als Krieg, dass es lohnt, sich dafür einzusetzen. Mir war das vor 25 Jahren auch nicht klar. Als das ZETRA-Konzert stattfand, war ich zu jung, um den Ernst der Lage zu verstehen. Ich wusste davon, aber ich war ein Junge aus der Stadt, der Punk, Hardcore-Musik und Trash-Metal hörte und den das einfach nicht interessierte. Ich war zu dumm, die Botschaft zu erkennen, die hinter dem Konzert stand. Dabei war der Zehn-Tage-Krieg in Slowenien damals bereits schon wieder vorbei, und auch in Kroatien hatte es bereits Kämpfe im Nationalpark Plitvicer Seen und noch einige andere Zwischenfälle gegeben. Eigentlich fand das Konzert also zu spät statt.
Aber wir waren damals alle überzeugt, dass bei uns hier nie Krieg ausbrechen werde, dass wir uns niemals auf verschiedenen Seiten gegenüberstehen würden.
Während des Krieges habe ich mehrere Dokumentarfilme gedreht, zusammen mit meinen Kollegen, und jedem Film lag die gleiche Idee zugrunde. Wir haben gezeigt, dass im Krieg Leute sterben, richtige Menschen, dass das keine abstrakten Zahlen sind. Wenn heute in Syrien Krieg herrscht, berichten die Nachrichten darüber wieder nur die Zahl der Todesopfer. Heute 17 Tote, morgen elf oder 30 Tote. Aber mit einer Zahl kann sich niemand identifizieren, zu ihr lässt sich keine Beziehung aufbauen, man kann kein Mitgefühl mit ihr empfinden. Und deswegen kann man sie ignorieren. Aber wenn du einen Film über einen Menschen siehst, mit Vornamen und Nachnamen, mit Brüdern und Schwestern, mit Vater und Mutter, dann ist das anders. Wir haben solche Filme gemacht, über einfache Menschen in abnormalen Situationen. Wir haben gezeigt, dass einfache Leute sterben und nicht Politiker, die in ihren Büros sitzen. Dass Leute sterben, die für den Krieg weder verantwortlich sind noch die Macht haben, ihn zu beenden.
Ich habe im Krieg ein paar Sachen gelernt. Zum Beispiel, dass es schlechte Menschen gibt, die im Unglück des anderen eine Möglichkeit zur persönlichen Bereicherung sehen. Und ich habe gelernt, dass man wirklich hilfsbereit sein muss, weil man dadurch sich selbst hilft. Es gab damals Menschen, die haben nichts mit den anderen geteilt. Und andere, die haben wirklich alles mit jedem geteilt, die haben sogar bei dir an die Tür geklopft und gefragt, ob du was brauchst. Heute im Frieden gibt es das nicht mehr. Heute wird niemand mehr an deiner Tür klopfen und fragen, ob du was brauchst. Deshalb war dieser Krieg ein riesiger Test für uns alle, nur dass dieser Test extrem blutig und brutal war.
Heute weiß ich, dass Krieg immer eine mögliche Option ist und deshalb immer etwas getan werden muss, damit es nicht soweit kommt. Es heißt immer, dass die Völker sich untereinander versöhnen müssen. Aber die haben sich doch gar nicht zerstritten. Stattdessen reichen fünf Leute, eine extrem kleine Minderheit ist in der Lage, einen Krieg anzuzetteln. Und deshalb ist es so wichtig, nicht diese falsche Minderheit zu wählen.