Zenit Đozić
“Auch uns hatte dieser Virus des Nationalismus irgendwann infiziert”
Zenit Đozić gehörte zur bekanntesten Comedy-Gruppe Jugoslawiens, die “toplista nadrealista” (“Hitparade der Surrealisten”). Die Gruppe bestand aus Serben, Kroaten und Bosniern, und ihre Sketche waren antinationalistisch, pazifistisch und kosmopolitisch. Trotzdem schaffte es der Krieg, sie auseinander zu reißen.
Im Nachhinein betrachtet wirken unsere Sketche, als hätten wir alles vorausgesehen: Schon 1989, also drei Jahre bevor der Krieg in Bosnien ausbrach, produzierten wir einen Sketch über die Sarajevoer Mauer. Wir waren inspiriert vom Fall der Berliner Mauer und überlegten, wo wohl eine neue Mauer entstehen könnte. In unserem Sketch ließen wir sie zwischen Ost- und West-Sarajevo verlaufen. Eine Unterteilung der Stadt, die es damals nicht gab, heute leider schon: Im Ostteil der Stadt leben heute vor allem Serben, im Westteil Bosniaken.
In unserem Sketch kommen die Müllabfuhren beider Stadteile an die Mauer, um ihren Dreck auf die andere Seite, über die Mauer, zu werfen. Aber nicht nur, dass Sarajevo heute in zwei Teile geteilt ist, ganz Bosnien ist es: Es gibt eine Serbische Republik und eine Bosniakisch-Kroatische Föderation.

Einer späterer Sketch handelt von der Familie „Popušlić“ (Familie „Abgeraucht“), sie führt Krieg gegen sich selbst: Die Mutter und der jüngere Sohn haben das WC und die Küche eingenommen, der Vater und der ältere Sohn die übrigen Zimmer. Die Front verläuft mitten durch die Wohnung. Mit diesem Sketch wollten wir zeigen, dass die Spaltung unseres Landes sehr tief geht. Dieser Konflikt ist so ansteckend und gefährlich, dass er sogar in der Lage ist, den Kern unserer Gesellschaft aufzuspalten: die Familie. Und genau das passierte vielfach, Familien spalteten sich auf, gingen auseinander, standen auf verschiedenen Seiten der Front, bekriegten sich sogar.
Unsere Anti-Kriegs-Sketche machten wir, um die Situation des aufkommenden Nationalismus zu beruhigen
Bosnien war vor dem Krieg das ethnisch vielfältigste Land. Auch heute ist es das noch, daran konnten auch die so genannten „ethnischen Säuberungen“ nichts ändern, wir sind noch immer das ethnisch vielfältigste Land in Europa.
Unsere Anti-Kriegs-Sketche machten wir, um die Situation zu beruhigen, diese Situation des aufkommenden Nationalismus. Wir versuchten, den aufkommenden Konflikt zu verhindern. So wie es die Macher des Konzerts in der ZETRA auch versuchten. Unsere Versuche waren ein letztes Aufbäumen. Diese Zeit war so fluide, so chaotisch, wir wussten, dass wir alles von uns geben müssen, um eine mögliche Katastrophe zu verhindern.
Wir besetzten das Parlament Bosnien-Herzegowinas
Am 6. April 1992, der Tag, von dem wir heute wissen, dass mit ihm in Sarajevo der Krieg begann, da besetzte das Volk das Parlament Bosnien-Herzegowinas. Den ganzen Tag lang hielten wir Reden, wir wechselten uns am Rednerpult ab, und auch ich versuchte mit einem Sketch die Lage zu beruhigen, meinen Teil zur Rettung des Friedens beizutragen.
An dem Tag schossen sie auf die Demonstranten vor dem Parlament. Und ich erinnere mich noch genau, wie ich begriff: Jetzt lebst du nicht mehr im Frieden, jetzt lebst du im Krieg. Es war, als wenn in meinem Kopf ein Schalter umgelegt worden sei.
Das erste, was im Krieg passiert: die Menschenrechte gehen verloren
Der Krieg verändert alles um 180 Grad. Das ist schwer zu beschreiben. Einbahnstraßen werden zu beidseitig befahrbaren Straßen. Alles ist anders. Das erste, was passiert: die Menschenrechte gehen verloren. Es gibt keine Demokratie mehr, kein „ich will dies oder jenes.“ Es gibt nur noch eine Gewalt, die dich antreibt, das zu tun, was du tun musst.
Es ist merkwürdig, dass man in Demokratien Referenden abhalten kann darüber, ob sich ein Land von etwas abtrennen soll oder sich einer Union anschließen, oder dass man ein Referendum darüber abhalten kann, ob es einen neuen Flughafen geben soll oder nicht. Man kann aber kein Referendum darüber abhalten, ob man in einen Krieg eintreten will oder nicht.
Wir haben unsere Sketche auch während des Krieges gemacht. Uns war es wichtig, bei den Menschen zu bleiben, ganz gleich auf welcher Seite sie standen und kämpften. Wir wollten ihnen dabei helfen, nicht den Verstand zu verlieren. Ich glaube, dass Humor dafür eine wichtige Rolle spielt. Wir haben unser humoristisches Programm fortgesetzt, erst über Radio. Ein Jahr lang. Dann begriffen wir, dass es zu gefährlich war, dauernd mit einem Kombi zwischen den Fronten zu fahren, und wir entschieden uns, im Haus des Fernsehsenders zu leben.
Eineinhalb Jahre schliefen wir zusammen in einem Raum. Wir hatten unterschiedliche Religionen, Hintergründe. Wir lebten in diesem einen Raum und verwirklichten unser gemeinsames Werk, während um uns herum der Krieg tobte. Und am Ende hat es der Nationalismus geschafft, auch unsere Gruppe zu zerstören.
Definitiv hatte irgendwann auch uns dieser Virus des Nationalismus infiziert
Die ganze Zeit über haben wir gegen diesen Nationalismus angekämpft. Und das, was ich jetzt sage, das sage ich zum ersten Mal: Wir hatten uns entschieden, die zahlreichen Fehler zu ignorieren, die die Generationen vor uns gemacht hatten, unsere Väter und Vorväter. Wir haben auf unsere nationale Zugehörigkeit einfach nicht geachtet. Nicht, dass wir uns unserer nationalen Zugehörigkeit entsagt hätten, das war nicht nötig. Aber wir hatten einfach nicht das Bedürfnis zu betonen, ich bin dieses oder jenes, oder: ich bin besser oder schlechter. Und dann fing einer an, das nun doch als etwas Wichtiges zu erachten. Derjenige war nicht ich. Warum das auf einmal passierte, kann ich auch nicht sagen. Aber definitiv hatte irgendwann auch uns dieser Virus des Nationalismus infiziert, obwohl wir in unseren Sketchen immer dagegen waren. Das lässt sich leicht zeigen, es reicht, sich unsere Sketche anzuschauen: Sie waren gegen Krieg, kosmopolitisch und für ein besseres Zusammenleben. Warum es auch uns auseinander gerissen hat, das frage ich mich bis heute.