Zoran Ćatić
„Die Probleme der EU ähneln denen sehr, die wir damals hatten, als Jugoslawien begann zu zerfallen“
Zoran Ćatić ist heute ein preisgekrönter Filmemacher, Radiomoderator und Journalist. Auf das Friedenskonzert in der ZETRA ging er vor allem wegen der guten Musik und den hübschen Mädchen. Dass das Konzert einen Krieg verhindern sollte, glaubte er nicht, denn einen Krieg, warum hätte es den überhaupt geben sollen?
Ich wollte einfach nur feiern. Und das Konzert war der beste Anlass dafür: die besten Bands spielten, junge Menschen aus dem ganzen Land waren gekommen, hübsche Mädchen. Ich war damals 21, jung und sorglos. Das Konzert war genau das, was mich in meinem Leben am meisten interessierte. Was sollte uns schon passieren? Das, was wir von Kriegen wussten, kannten wir aus Filmen. Würde ich jetzt erzählen, dass wir da hingegangen sind, um etwas zu verhindern, das wir auf uns zukommen sahen, ich würde lügen. Natürlich gingen wir auf all diese Konzerte, Demos und Veranstaltungen, aber doch vor allem, weil da was los war.
Später erfuhr ich, dass Kriegsfilme nichts zu tun haben mit echtem Krieg und mit dem, was man dabei durchlebt. Aber wie will man das jungen Menschen verständlich machen? Die haben doch ebenso wenig eine Ahnung davon, wie wir damals. Auch heute geht es jungen Menschen doch vor allem ums Ausgehen, Feiern, Abenteuer, Liebe machen... Niemand kann ihnen das verübeln. Wir aber, die Älteren, haben Erinnerungen und damit die Möglichkeit, zu vergleichen. Und was derzeit in Europa und in der Welt geschieht, das macht mich sehr nachdenklich.

Leider kann ich mich an so vieles nicht mehr erinnern, was mit der Zeit um den Krieg herum zu tun hat. Bei mir sind da schwarze Löcher. Manchmal kommen Menschen mit Fotos, auf denen ich zu sehen bin, schildern mir die Situation dazu, und ich habe keine Ahnung, wovon sie reden.
Die Schüsse auf die Friedensdemonstranten dienten den Interessen aller Nationalisten
Ich habe viel recherchiert und einen Dokumentarfilm gedreht zu den letzten großen Friedensdemonstrationen, die in Sarajevo stattgefunden hatten - am 5. und 6. April 1992. Die Menschen versuchten das Ruder an sich zu reißen, um den Krieg zu verhindern, sie besetzten das Parlament und hielten Reden. Draußen wurde auf die Demonstranten geschossen aus dem Holiday Inn, in dem die SDS, die serbische nationalistische Partei, ihre Büros hatte. Aber ganz gleich, wer auf die Menschen schoss: Dieser Schuss entsprach den Interessen aller Nationalisten. Das ist das Fazit meines Films. In Grunde genommen waren das die Tage, an dem das bürgerlich-demokratische Bosnien-Herzegowina geboren wurde - und erschossen.
Europa muss damit aufhören, uns als Wilde anzusehen, die kaum abwarten konnten, sich gegenseitig umzubringen
Europa muss damit aufhören, uns als Wilde anzusehen, die kaum abwarten konnten, sich gegenseitig umzubringen. Jugoslawien war eine Art Europäische Union. Wir haben die Europäische Union gelebt. Die Frage, die sich stellt: Hat die EU all das, was wir durchgemacht haben, längst hinter sich? Oder steht der EU all das noch bevor? Ich habe dazu keine klare Antwort. die Probleme der EU treten dieser Tage jedenfalls doch sehr hervor. Und diese Probleme ähneln denen sehr, die wir damals hatten, als Jugoslawien begann zu zerfallen. Mich besorgt vor allem der Umgang der EU mit den Flüchtlingen. Auf der einen Seite werden Werte hochgehalten, Menschenrechte, auf der anderen Seite wird aber nicht danach gehandelt.
Der neue Nationalismus bereitet mir Sorgen. Nationalismus ist eine Dummheit. Er dient nur einem kleinen Kreis an Profiteuren. Nationalismus führt zu Krieg. Das ist nicht nur die Erfahrung, die wir in Bosnien-Herzegowina machen mussten, so lief es auch im Ersten und Zweiten Weltkrieg und in allen anderen Kriegen: Nationalismus gebärt wenige Profiteure, die gut leben, während es den übrigen Menschen schlecht geht.

Was wir brauchen, sind “individuelle Revolutionen”: Jeder Mensch sollte schauen, wie er Gutes tun kann. Ich glaube nicht an große Revolutionen und Bewegungen. Wir sollten uns fragen: Was können wir Gutes in unserem Umfeld tun? Ich arbeite viel mit Kindern, reise dafür durch Bosnien-Herzegowina und bringe ihnen das Filmemachen bei, Schreiben, Skripten, Journalismus. In die entlegensten Dörfer fahre ich dafür, denn dort geht es den Kindern besonders schlecht. Hier in Sarajevo hast du Möglichkeiten und Perspektiven, das Jammern ist hier auf einem ganz anderen Niveau, aber dort in den entlegenen Dörfern, wenn ich dort mit Kindern arbeite und sie merken, was in ihnen steckt und was möglich ist, dann erreiche ich viel.